Der dunkle Wallach

 

 

Die schneeweiße Mähne wehte im Wind. Er schnaubte. Der grauschwarze Wallach stand am Waldrand und blickte hinab ins Tal. Seine Ohren bewegten sich unruhig hin und her und seine Nüstern waren weit geöffnet.

 

Die langen giftgrünen Halme der Gräser wickelten sich leicht um seine schimmernden Hufe und es schien, als würde er auf etwas Bestimmtes warten. Der Wind wurde stärker und pustete seine langen Haare ins Gesicht.

 

Laute Pfiffe ertönten und sein Kopf schreckte nach oben. Die tiefbraunen, unschuldigen Augen waren voller Angst und Schrecken weit geöffnet und er witterte Gefahr. Es war so weit. Er musste sich bereit machen. Sie kamen näher und näher, doch er musste Geduld haben und erst kurz vom Angriff loslegen. Der Wallach war nervös und wartete auf den richtigen Augenblick. Die Pläne waren schon längst geschmiedet und seine Rune auf der rechten Flanke leuchtete warnend rot.

 

Die Pfiffe wurden lauter und nun waren klare, dumpfe Trommelschläge zu hören.

 

Sie machten ernst.

 

Ein schrilles Wiehern ertönte und seine Ohren schnellten blitzschnell nach hinten. Noch zwanzig Hufe entfernt. Jetzt stand der Augenblick vor ihm und sein Handeln würde sein Leben oder Tod ausmachen. Drei, zwei, eins, los!

 

Seine Beine bewegten sich wie von selbst und er rannte den Berg hinab. Dicht waren sie hinter ihm.

 

,,Das ist er! Der Wallach mit dem dunklen Fell, der schneeweißen Mähne und der Rune! Hinerher!“

 

Ein nächster Pfiff ertönte. Laut, warnend, düster und mächtig.

 

Mit einem lauten Wiehern nahm er Geschwindigkeit dazu. Wie ein wildgewordenes Opfer preschte er an den Fichten vorbei, den Blick immer auf den großen Baum im Tal gerichtet. Er schnaubte hörbar und war unglaublich angespannt. Schweiß rannte ihm den Rücken herunter und die Haare von seinem Schopf klebten ihm nass in der Stirn.

 

Das Pferd war am Überlegen, einen anderen Weg einzuschlagen, doch seine Verfolger waren zu viele und hingen ihm dicht an den Fersen. Die Ohren immer noch verkrampft nach hinten gelegt, hielt er sein flottes Tempo ein und zwang sich dazu nicht an Geschwindigkeit zu verlieren.

 

Die schweren, grauen Wolken zogen sich über seinem Kopf zusammen und langsam fing es an zu regnen. Dicke Tropfen fielen hinab, prasselten immer schneller auf seinen schlanken Rücken und verwandelten die Erde in rutschigen Schlamm.

 

Die dunkeln Gestalten, die von den großen Rossen hinter ihm getragen wurde, zogen ihre pechschwarzen Kapuzen tiefer ins Gesicht und murmelten verärgert Befehle.

 

Als die Reiter ihn fast aufgeholt hatten, bog er ungewollt, aus Angst, ihn den Wald ein, westlich vom Berg. An den fahlen Nadelbäumen hingen raue, knorrige Rindenreste, woran sich der Wallach eine tiefe Schramme holte. Er quiekte erschrocken auf, rannte jedoch, den Schmerz ignorierend, weiter. Seine Hufe und Fesseln waren voller Schlamm und sein Fell war durchnässt.

 

Die Schramme am Hals ließ ihn vor Qual zusammenzucken, das Blut davon lief eilig herunter und färbte die engelsweißen, langen Haare ein tiefes Rot.

 

Die Anstrengung stach ihn wie tausende Dolche tief in die Lunge und schaumige Spucke tropfte von seinem Maul.

 

Doch würde er Halt machen, würde er direkt in ihre Arme laufen.

 

,,Beeilung, wir brauchen sein Blut!“ Diese Worte ließen ihn zusammenzucken.

 

Als er einen flüchtigen Blick nach hinten warf, erkannte er, dass seine Gegner ein langes, silbernes Lasso schwangen. Die Gestalt mit dem Lasso, zögerte kurz und plötzlich schnürte sich etwas fest um seinen Hals. Er stoppte wie von selbst. Mit Erschrecken bemerkte er die silberne Schlinge um seinen Nacken. Er wieherte erschrocken und wollte wieder loslaufen, doch das Lasso hielt ihn streng zurück. Letztendlich gab er leidend auf.

 

Alle Verfolgerpferde umkreisten ihn und Gemurmel ertönte von ihren verschmutzten Lippen.

 

Auf einmal erhob sich eine tiefe Stimme und eine große, tiefschwarze Gestalt kletterte von einem hellgescheckten Pferd, auf dessen schmaler Stirn eine dunkelblaue Rune prangte.

 

Die Gestalt nahm eine eigenartig verdrehte Spritze und kam langsam auf den wilden Wallach zu, der mit starken Händen festgehalten wurde.

 

Donnergrummeln ertönte und der Regen verstärkte sich. Kurz bevor die Gestalt die Spritze am Fell ansetzen konnte, um dem Wallach sein kostbares Blut zu entnehmen, erschien ein blendend heller Blitz und schlängelte sich unglaublich schnell auf das verschreckte Pferd zu. Mit einem Knall und folgendem hellen Licht, umschlang der besondere, rote Blitz den Wallach und brachte ihn davon.

 

Die Gesichter der Gestalten verdunkelten sich und eine Gestalt mit einem grünen Mantel spuckte verärgert Wörter von sich: ,,Das siebte Pferd, das wir verloren haben und ohne sein Blut zurückkehren müssen! Unser Meister wird enttäuscht sein!“

 

Letta 10.12. 20221