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Tagebucheintrag eines Ranzens

Ein hoher piepsender Ton rüttelt mich aus meinem Schlaf und tut mir in den Ohren weh. Ach, der Alltag beginnt. Mein Frauchen schläft noch, nein verschlafe nicht wieder! Schweigend sitze ich unter dem Schreibtisch und warte.

 

Sie schreckt hoch, na endlich. „Was, schon so spät???“, höre ich sie rufen und beobachte amüsant, wie sie aus dem Bett flüchtet und sich schnell ankleidet. Während sie im Bad verschwindet, wecke ich den gelben Ordner neben mir. Schläfrig wird er wach und stöhnt.

 

Der Holzboden vibriert als Frauchen mit schnellen Schritten näher kommt und mich mit einem kraftvollen Ruck auf den Rücken zieht.Ich schnalle mich fest und werde unbequem umhergerüttelt, als sie die Treppen runtersaust, sich das belegte Brot schnappt und mit mir und Ordner aus dem Haus in die kühle Frühe verschwindet.

 

Nach einer langen Busfahrt kommen wir endlich an der Schule an. Sie trägt uns durch die Pausenhalle und bleibt neugierig vor dem Vertretungsplan stehen. Ich starre nur in ihren Nacken, menno, ich will auch sehen, was auf dem Bildschirm steht. Nach einer kurzen Zeit wandert sie die Treppen hoch, läuft in den Klassensaal und stellt einen Stuhl vom Tisch. Ich werde unter den Tisch abgesetzt und warte mit Ordner. Erste Stunde, Englisch. Sie blickt zu mir runter, lächelt mich an, öffnet ein Fach von mir und befreit mich von der Last des Englischbuches und dem Mäppchen, sowie dem kleinen blauen Ringheft. Irgendwann fangen alle an in einer anderen Sprache zu reden und ich tuschele solange mit Ordner.

 

Nach einer weiteren Stunde, in der alle irgendwas von Parabeln sprechen, beginnt endlich die Pause. Schwungvoll schmeißt Frauchen mich auf den Rücken und springt die Treppen förmlich runter. Sie hält mich blöderweise nur an einem Arm fest und ich habe Probleme, die Balance zu halten. Mann, das ist total unkomfortabel, trage mich doch normal, das ist für unser beider Schultern nicht gesund! Und cool auch nicht.

 

Ach, jetzt werde ich abgesetzt und sie nimmt sich die Brotbox aus meinem anderen Fach. Ich geselle mich zu den anderen Ranzen und wir lästern über komische Unterrichtsstunden und haben gemeinsam Spaß. Ordner kuschelt sich an mich, wahrscheinlich ist ihm kalt. Der lilafarbene Ordner neben mir fängt an zu jammern: „Ich habe keine Lust mehr, sooo viele Blätter und immer so früh aufstehen, wäre ich doch lieber im Laden geblieben!“ Ich rolle mit den Augen, Jammerordner, der kann sich glücklich schätzen so viel erleben zu dürfen, das haben andere Ordner nicht. „Aber dafür werde ich gut behandelt und habe ein Zuhause.“ Naja, zumindest das hat er verstanden, ich nicke zustimmend.

 

Der nervige Gong ertönt, sie nimmt mich wieder Huckepack und wir gehen den schmalen Gang zu den Chemiesälen. Mann, der ist gefüllt von kunterbunten Ranzen und Schüler:innen. Auch die Lautstärke ist anstrengend, alle reden gemeinsam. Sie stellt mich zu meinen Ranzenfreund:innen und wir warten, bis wir in den Saal gelangen. Hier lerne ich etwas über Ionen und einer sogenannten Lewisschreibweise, aber ganz ehrlich, wirklich verstehen tue ich das nicht. Nach dem komischen Gong gelangen wir zurück in den Saal im Altbau. Ah, Deutsch, die Sprache verstehe ich. Die Lehrerin vorne erklärt etwas über Analysen und Gedichte. Das finde ich interessant, wenn ich könnte, würde ich auch Gedichte schreiben. Wer weiß, vielleicht wäre ich ja ein berühmter Ranzen. Aber zurück zur Realität. Die Deutschstunde endet und Frauchen geht mit mir und Ordner in den Pausenhof und wir setzen uns in die Sonne. Ach ist das herrlich warm!

 

Ich treffe mich erneut mit dem roten, dem grauen, dem grünen, dem blau-lilafarbenen und den anderen Ranzen die zu meiner Clique gehören, sowie die bunten Ordner. Wir genießen das gute Wetter und hören unseren Herrchen und Frauchen beim Erzählen zu.

 

Nach der schönen Pause gehen wir in den Neubau, die Treppen hinunter und spazieren in den hellgrauen Kunstsaal. Alle zeichnen und ich verbringe die zwei Stunden damit mit den anderen Ranzen unter dem Tisch und labere über witzige Themen.

 

Als die Schule endet, werde ich mit Ordner den langen Weg zum Bahnhof heruntergetragen und wir warten auf den Bus, der uns schließlich heimfährt. In ihrem Zimmer angekommen stellt sie mich wieder unter den Schreibtisch, sie macht Hausaufgaben und ich schlafe, da es höchstens Zu-Bett-geh-Zeit ist. Sie streichelt mich und ich träume davon, wie ich Gedichte schreibe und für Klassenarbeiten lerne. Wenn das wahr wäre!

 

 

Ich hoffe diese Geschichte hat euch gefallen, ich habe mich teilweise an dem Alltag meines Ranzens orientiert und wer weiß, vielleicht empfinden sie ja tatsächlich so…;)

 

 

Letta

 


Wenn du den Alltag eines Ranzens spannend fandest, möchtest du vielleicht auch etwas über jenen von Variablen lesen: 

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Kommentare: 1
  • #1

    Sophie König (Freitag, 05 Mai 2023 17:36)

    Die Geschichte war, finde ich sehr gut. Lustige, aber auch realistische Themen wurden eingebaut und interessant dargestellt.
    LG Sophie