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Was wäre, wenn spicken erlaubt wäre?

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Wir beschäftigen uns im Deutsch Grundkurs zur Zeit mit dem Thema Utilitarismus und dem kategorischen Imperativ nach Kant. Für alle, die nicht wissen, was diese beiden Begriffe bedeuten:

Der Utilitarismus besagt, dass man, bevor man handelt, abwägen sollte, wie schwer die Folgen dieser Handlung oder Tat auf einen selbst, auf andere und auf seine Umwelt sein würden. Man beurteilt Handlungen nach dem Utilitarismus als richtig oder falsch beziehungsweise moralisch oder unmoralisch, je nachdem, ob die positiven oder negativen Konsequenzen überwiegen.

Ein Beispiel: Eine Frau geht einkaufen und hat beim Bezahlen sehr viel Kleingeld zurückbekommen. In der Fußgängerzone sitzt ein Obdachloser. Ein richtiges oder moralisches Handeln nach dem Utilitarismus wäre hier, dem Obdachlosen das Kleingeld zu geben, denn die positiven Folgen überwiegen: Die Frau hätte jemand Bedürftigem geholfen, sie hätte nicht mehr so umständlich viel Kleingeld in ihrem Geldbeutel und sie hätte ein gutes Gewissen. Die einzige negative Folge wäre, dass sie weniger Geld als vorher hätte.

Immanuel Kant fordert durch seinen kategorischen Imperativ, dass man nur nach den Handlungsmaximen (= persönlichen Leitsätze) handeln sollte, von denen man auch wollen würde, dass sie zu einem allgemeingültigen Gesetz würden.

Ein Beispiel dazu: Ein Mann entscheidet sich dazu, einer Naturschutz-Organisation beizutreten. Sein Handlungsmaxim, also ein persönlicher Leitsatz oder auch sein Prinzip, wäre es, zum Umweltschutz beizutragen. Diese Handlung wäre moralisch, da er wollen würde, dass es ein Gesetz geben würde, nach dem alle Menschen zum Umweltschutz beitragen müssten.


Nachdem wir im Unterricht diese beiden Prinzipien geklärt und auf verschiedene Beispiele, auch aus unserem Alltag, angewendet haben, stellte sich irgendwann die Frage, ob das Spicken in einer Prüfung nach Kants kategorischem Imperativ unmoralisch sei. Wir stellten uns also die Frage: Ist es moralisch, wenn es allgemein erlaubt wäre, in Prüfungen zu spicken? Wir kamen zu dem Schluss, dass das nichts mit Moral zu tun habe. (Falls ihr hierzu etwas einzuwenden habt, schreibt es gern in die Kommentare, ich finde das Thema Moral nämlich sehr interessant.)

Jetzt habe ich mich gefragt: Ist es so unrealistisch und lebensfremd zu erlauben, während einer Arbeit seine eigenen Aufschriebe, oder sogar das Internet zu verwenden und sich somit von Extern Hilfe zu holen?

Ich habe mir mehrere Tage darüber Gedanken gemacht und bin zu folgendem Schluss gekommen: Ich finde man sollte es einmal ausprobieren.

Wenn spicken erlaubt wäre, dann würde es nicht mehr spicken heißen, sondern sich überall Hilfe holen zu dürfen und zu recherchieren. Es stünde einem also beispielsweise in einer schriftlichen Überprüfung, wie einer Klausur, zum Beispiel ein technisches Gerät zur Verfügung, mit dem man Zugang zum Internet hat. Wäre das so verwerflich?

In einer Welt, in der die Digitalisierung immer fortschrittlicher wird, wird man sich doch auch im späteren Berufsleben Hilfe im Internet holen, wenn man sie braucht. (Das kommt natürlich auf den Beruf an, aber ich glaube, dass man in vielen Berufen externe Hilfe immer gut gebrauchen kann, statt wirklich alles auswendig zu lernen. Über diese Aussage lässt sich streiten.)

Wenn einem also die so oft ersehnte Hilfe in einer Klausur zur Verfügung stünde, wären die Aufgabenstellungen bestimmt auch darauf angepasst.
Ein analoges Beispiel dazu: Wenn ein Lehrer einen Test in Mathe zum Thema Kopfrechnen schreibt, wird er vermutlich keine Taschenrechner während der Bearbeitung des Tests zulassen. Ich glaube, ihr versteht, worauf ich hinaus will.

Selbst wenn man beachtet, dass man mit jedem technischen Gerät auf Chat GPT Zugriff hätte, könnte man die Aufgabenstellung immer noch so komplex gestalten, dass ein Roboter keine konkrete Antwort darauf hätte. Oder aber man sperrt Chat GPT ganz einfach für die Prüfungen.

Ich glaube, dass man das umsetzen könnte.

Zudem könnte man die Prüfung so konzipieren, dass man gar nicht die Zeit hat, bei allen Aufgaben zu recherchieren und somit immer noch für Prüfungen lernen müsste und sich also weiterhin Fertigkeiten aneignen müsste, um gut abzuschneiden. Außerdem müsste man alle Quellen, die man verwendet hat, angeben und auch vorher auf ihre Richtigkeit prüfen.

Man kann auch in einer Englisch Kursarbeit, in der ein Wörterbuch zugelassen ist, nicht den gesamten gegebenen Text in der begrenzten Zeit übersetzen und zusätzlich eine Analyse darüber scheiben, ohne vorher einigermaßen gut Englisch zu verstehen. Auch bei dieser Analogie sollte klar sein, was ich meine.

Man müsste den Schülern ja gar nicht unbedingt technische Geräte zur Verfügung stellen. Es würde ja genauso gut funktionieren, wenn sie ihre Aufschriebe und Schulbücher mit in die Arbeit nehmen können, sowie es in Deutsch erlaubt ist, einen Duden zu benutzen, oder in anderen Sprachen eben ein Wörterbuch.

Wichtig zu beachten wäre nur, dass natürlich alle die gleichen Voraussetzungen haben.

Man könnte dann bei der Aufgabenstellung den Fokus auf etwas anderes setzen, oder auch eine höhere Präzision in der Ausarbeitung fordern.

Es müsste auch nicht bei jeder Prüfung oder Überprüfung externe Hilfe erlaubt sein. Es würde ja für die meisten Schüler wahrscheinlich schon reichen, einmal pro Jahr in jedem Fach diese Möglichkeit zu haben.

Ich möchte auch noch einmal klarstellen, dass es mir hier nicht darum geht, die Faulheit mancher Schüler zu kompensieren und ihnen die Chance auf eine gute Note zu ermöglichen. Mir geht es darum herauszufinden, ob es Möglichkeiten gibt, die Schule und das generelle Schulsystem so zu verbessern, dass man der Lebensrealität näher kommt.

Wie man diese Idee in der Praxis umsetzen könnte und ob das auch so funktioniert, wie ich mir das vorstelle, würde mich sehr interessieren. Ich wäre auch gerne selbst dabei, wenn Lehrkräfte so etwas ausprobieren dürften. Was sind eure Überlegungen und Überzeugungen zu diesem Thema? Schreibt es gerne in die Kommentare.

 

Inka


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