· 

Bio-Bücher sind Romane mit unnötigen Nebenhandlungen

Lesezeit: 9 Minuten;

 

Jeder von uns Schüler:innen besitzt wahrscheinlich ein Bio-Buch oder hat eines besessen. Sobald man mit dem Bio-Buch arbeitet, darf man sich ähnlich wie in Geschichte oder Erdkunde haufenweise Text durchlesen, um die Aufgabenstellungen zu lösen. Teilweise frisst das Lesen des Textes meist mehr Zeit als die Aufgabe selbst. 

Nun ist wahrscheinlich noch niemand auf die Idee gekommen, sein Biologie-Buch als Roman zu lesen. 

Abends sich schön zur Entspannung erstmal vier Seiten zur Bedeutung der Oberflächenstrukturen für die Immunabwehr reinziehen und sich dann in den Schlaf gehen lassen. Kein Traum für eine:n normale:n Schüler:in.

 

Aber seien wir doch mal ehrlich, wenn wir das Biologie-Buch wie einen Roman lesen würden, kämen sehr viele unnötige Zwischenhandlungen und Siedecharacters vor. Beweis gefällig? Gerne, schauen wir uns doch mal das Biologie Buch bioskop (Gesamtband) vom Westermann-Verlag für die Oberstufe an.

 

Seite 166 Hochdurchsatz-DNA-Sequenzierungen-Chancen und Risiken

 

"Der zweifache Nobelpreisträger Frederick Sanger (1918-2013) legte im Jahr 1975 den Grundstein für eine auch heute noch bedeutende enzymatische Methode, mit der  die Abfolge (Sequenz) der Nukleotide der DNA mit ihren vier verschiedenen Basen (A, T, C, G) bestimmt werden konnte. Frederick Sanger freute sich im Jahre 1975 sehr darüber, dass es gelang, etwa fünf Basen in einer Woche zu sequenzieren. Im Vergleich zu diesen fünf Basen nimmt sich die Zahl der Basenpaare (bp) der Genome, also der Gesamtheit der genetischen Information eines Lebenswesens, astronomisch aus: [Zahlenwerte werden hier genannt].

Heute kann das Genom eines Menschen innerhalb weniger Tage mit aufwändiger digitalen Technik und bioinformatorischer Software für weniger als 1000 Dollar sequenziert werden. Man spricht in diesem Zusammenhang vom "1000-Dollar-Genom". Ermöglicht wird  dies durch sogenannte Hochdurchsatztechnologien in der Genomanalyse." (S. 166, bioskop)

 

Na, kommen schon sie ersten Bio-Feelings auf? Dieser Aufsatz bildet den Anfang eines einseitigen Textes. 

Die ganzen zwei Aufgaben auf der folgenden Seite handeln über die Vor- und Nachteile der verschiedenen Hochdurchsatztechniken und in der 2. Aufgabe muss das Next Generation Sequencing erst mal erklärt werden, da dieses nur als Begriff im Text vorkommt. In Teilaufgabe B darf man dann Sangers Methode mit dem Next Generation Sequencing vergleichen.

Da frage ich mich, was ich denn da vergleichen soll? Dass Sangers Methode langsamerer ist und das NGS schneller? Und warum muss ich jetzt genau wissen, wann Frederick Sanger gelebt hat und dass er sich sehr freute, fünf Basen in einer Woche zu sequenzieren? Von den Werten (im Zitat nicht aufgeführt) ganz zu schweigen. Für die bildliche Untermalung des Textes wurde natürlich auch eine Abbildung hinzugefügt, die nichts mit den Aufgaben zu tun hat. Herzlichen Glückwunsch liebes bioskop, hätte man sich da nicht kürzer fassen können?

 

Generell wirken diese ersten Abschnitte in Texten aus dem Bio-Buch meist wie eine gekünstelte Einleitung, die man in einer Klausur zusammenbastelt, um geschickt auf das eigentliche Thema zu kommen. Ein weiteres Beispiel gefällig?

 

Seite 384 Interessenkonflikte zwischen Menschen und dem Naturschutz

 

"Der Okerstausee hat eine Fläche von etwa zwei Quadratkilometern (Abb.1). Das von der Okertalsperre aufgestaute Wasser bietet dem Menschen verschiedene Nutzungsmöglichkeiten. Die Versorgung mit Trinkwasser kann sichergestellt werden, indem aus einem Teil des Stausees Wasser entnommen und nach einer Aufbereitung in das Trinkwassernetz eingespeist wird. Möglichkeiten zum Segeln, Wasserskifahren oder zu Fahrten mit dem Ausflugsdampfer sowie zahlreiche Rad- und  Wanderwege machen die Gegend um den Okerstausee zu einem Naherholungsgebiet. Das touristische Angebot wurde gezielt ausgebaut und liefert zahlreichen Menschen eine wirtschaftliche Existenzgrundlage. Die Lageenergie des aufgestauten Wassers kann mithilfe von Turbinen beim Ablassen des Wassers aus dem Stausee in elektrische  Energie umgewandelt werden. Dies ermöglicht die Produktion von Strom ohne Freisetzung von Kohlendioxid und ohne Entstehung radioaktiver Abfälle." (S.384, bioskop)

 

Kurze Frage, seit wann werden im Bio-Buch eigentlich Themen aus Erdkunde behandelt?  Naja, die ganzen 2 Aufgaben, die das Biobuch stellt, handeln über ökologische Konsequenzen, Intressenkonflikte zwischen Naturschutz und Menschen und noch mehr Interessenskonflikten, die aber nicht den Text betreffen. 

Für Aufgabe 1, also die einzige Aufgabe, für die der Text aktiv benötigt wird, braucht man eigentlich nur Abb. 2, auf der alles in einer wunderschönen Grafik dargestellt ist.

Ich frage mich jetzt natürlich:

 

- Warum muss ich die Größe des Stausees wissen?

 

- Warum traut mir das Biobuch eigentlich nicht zu, dass ich mir denken kann, dass Energierzeugung durch Wasserkraft ohne radioaktiven Abfälle- und Kohlenstoffdioxiderzeugung stattfindet?

 

- Wofür brauche ich eigentlich die Information, wie Trinkwasser aus dem Stausee entnommen wird?

 

Ich mache mal ein Angebot: Die ganzen Beispiele für die Nutzung der Menschen für die bestimmt wunderschöne Oker einfach mal in eine Tabelle fassen. 

Ach nee, warte mal, wir sollen ja lernen, wichtige Informationen aus Texten herauszufiltern. Na klar, dann geht das ja gar nicht mit einer Tabelle. Oder doch?

Natürlich geht das, schließlich lernen wir  das Filtern von Informationen aus Texten seit der 5. Klasse Tag ein, Tag aus, fächerübergreifend. Ist das nach 5 Jahren oder mehr nicht mal gelernt? Schließlich kann ich die Sprache, die ich lerne, irgendwann und muss dann auch nicht mehr die ganze Zeit Vokabeln lernen. 

Statt also die wertvolle Unterrichtszeit für eine aktive Diskussion oder die Besprechung von Aufgabe 1, die wie gesagt auch nur mit Abb. 2 lösbar ist, zu verbringen, darf man sich erstmal wieder im Informationen aus Texten herausfiltern üben. Und am Ende wird's dann mit dem Lehrplan knapp, weil man den Stoff von sechs Wochen in vier durchkriegen muss. Was heißt das? Ah ja, mehr Hausaufgaben, verstehe. 

Toll gemacht. Herzlichen Glückwunsch, liebes bioskop, dass du dich nicht kurzfassen kannst, ganz zum Wohle der Schüler:innen natürlich. 

 

Und ganz schön in unseren Bio-Büchern sind die wunderschönene Experimente, die dort erklärt werden. Zum Beispiel das Experiment zur Ionenwanderung auf Seite 107, bei dem man ein elektrisches Feld erzeugen soll, natürlich bei 20 V mit Kohleelektroden.

Seien wir doch mal ehrlich, wer hat schon mal ein Experiment aus dem Bio-Buch im Unterricht durchgeführt?

Also bei mir waren es höchstens zweimal. Warum? Vielleicht, weil die Experimente im Buch aufwendig sind, Materialien erfordern, die die Schule nicht bereitstellen kann, nicht in einer Gruppe in Größe einer Schulklasse durchgeführt werden können oder einfach zu zeitaufwendig sind. Und selbst die ein- zweimal, die man die Experimente aus dem Buch tatsächlich mal im Unterricht durchführt, sind im Vergleich an den Massen von Versuchsvorschlägen in den Büchern doch lächerlich.

Herzlichen Glückwunsch, bioskop. Danke, dass ich auch diese unnötigen Papierseiten jeden Morgen zur Schule schleppen darf. 

 

Danke, liebe Bio-Bücher, dass ich jetzt hunderte Nebeninformation, Vorschläge und Wissenschaftler:innen kennenlernen durfte, die ich nach zwei Tagen sowieso wieder vergessen habe — schließlich gibt es ja auch noch andere Fächer.

 

Lasse


Diese Artikel könnten dir auch gefallen:

Kommentar schreiben

Kommentare: 0