Der verlorene Flügel

Felix schlüpfte in das Musikzimmer der Villa seines Vaters. Die Tür knarzte schrecklich und alle Flächen waren von einer dicken Staubschicht belegt. Bei jedem Schritt von Felix wirbelte der Staub auf und brachte ihn zum Niesen. Im Musikzimmer waren hunderte Instrumente vorhanden. In der einen Ecke stand eine Harfe, in der anderen eine Pauke. Doch im Mittelpunkt stand ein Flügel. Wegen diesem Flügel war er hier. Behutsam strich er über das Holz. Ein rotes Samttuch lag auf den Tasten. Der Flügel, der hier vor ihm stand war der älteste und besterhaltene Flügel der Welt und keiner außer ihm wusste, dass er sich in diesem Raum befand. Überhaupt wusste keiner, dass dieser existierte. Es war allein sein Verdienst, dass der Flügel noch intakt war. Felix zog ein Staubtuch aus seiner Tasche und wischte den Flügel ab, setzte sich und begann zu spielen. Er spielte Mozart und Beethoven, bis ihn plötzlich ein Schlag am Hinterkopf traf. Es wurde ihm schwarz vor Augen.

 

 

Als er aufwachte, lag er auf dem Boden und der Flügel war weg! Nur noch eine Schleifspur erinnerte an ihn. Felix sprang auf und ihm wurde sofort schwindelig und er musste sich auf den verbliebenen Klavierhocker setzen. Tränen liefen seine Wangen hinab, er schluchzte und stand wieder auf. Er hatte einen Entschluss getroffen. Langsam, aber pro Schritt immer sicherer auf den Füßen, folgte er den Schleifspuren des Flügels, die an der Lieferantenzufahrt endeten. Felix holte noch schnell die Pistole seines Vaters aus dem Safe, stieg in seinen roten Cabrio und fuhr die einzige Straße, die zur der Villa führte entlang. Auf halber Strecke bremste er scharf ab, denn er hatte Reifenspuren auf einem matschigen Waldweg entdeckt. Als er ihnen folgte, kam er auf eine sonnendurchflutete Lichtung. Er zog seine Waffe und zielte in den Wald. Da sah er den Flügel. Er stand in der Mitte der Lichtung. Felix strich wieder über das Holz. Plötzlich ging der Flügel in Flammen auf und verbrannte seine Hand. Schmerzerfüllt schrie er auf. Aus dem Augenwinkel sah er noch etwas aufblitzen, bevor er einen Schmerz im Bauch fühlte. Als er nach unten schaute, sah er ein Messer in seinen Bauch stecken. Seine Beine knickten weg und eine Gestalt trat über ihn: „Na, wie ist es zu sterben, Bruder?“, sagte sein um ein Jahr jüngerer Bruder. „Endlich erbe ich das ganze Geld von Vater.“ Ungeheure Wut machte sich in Felix breit, er umfasste seine Waffe fester und gab einen Schuss ab. Er traf! „Keiner kann gewinnen“, röchelte er, bevor ihm seine Augen zufielen.

 

Lasse 12.11.2021