Schnuppernd hob der Wolf seinen Kopf. Klare, kalte Winterluft schlug ihm entgegen. Schneeflocken landeten auf seiner grauen Schnauze.
Vorsichtig wagte sich das Tier aus dem Bau. Es war der erste Winter, den er erlebte, und er war wie verzaubert von der malerisch weißen Landschaft und den glitzernden Eiszapfen, die von den Felsüberhängen hingen. Der ihm so vertraute Wald schien in eine Welt entrückt, die er nur aus den Märchen seiner Mutter kannte. Die Blumen und Bäume schienen in einen tiefen, traumhaften Schlummer versunken zu sein.
Das Schneetreiben wurde immer dichter. Der Wolf hob seine Tatze und versuchte, einen der umherwirbelnden Flocken zu fangen, doch seine Versuche blieben ohne Erfolg.
Enttäuscht ließ das Jungtier von seinem Spiel ab und wandte sich einem unter einer dicken Schneedecke begrabenen Etwas zu.
Neugierig und unvorsichtig wie er war, lief er darauf zu und stupste den Hügel mit seiner Schnauze an. Das weiße Nass wurde rissig und bröckelte.
Aufjaulend prallte der Wolf zurück, als ihn der Schnee mit voller Wucht traf und unter sich begrub. Knurrend kämpfte er sich frei und beobachtete mit misstrauischer Feindseligkeit den freigelegten Gegenstand. Es handelte sich um einen gewöhnlichen Busch, der auch schon am Tag zuvor hier gestanden haben musste. Warum hatte der Wolf ihn nur nicht erkannt?
Jetzt erst realisierte er, dass der Busch anders wirkte als sonst. Einen Herzschlag später hatte er auch herausgefunden, warum. Kleine Fleischbrocken hingen an dem Busch, die nur dazu einluden, gegessen zu werden.
Wie aus dem Nichts spürte der Wolf ein Fell neben dem seinen. Erschrocken wirbelte das Tier herum und erkannte seine Mutter.
„Einen frohen Tag des ersten Schnees!“, wünschte sie ihm und stupste ihn mit der Schnauze an. „Lass es dir schmecken.“
Mit einem freudigen Juchzen sprang der Wolf auf den Busch zu und verschlang das Fleisch in sekundenschnelle.
Julia 10.12.2021