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Triggerwarnung: Mord, Suizidgedanken
Es ist eine düstere Nacht, nicht ein Stern ist zu sehen und der Mondschein wird von schweren Wolken verdrängt und spendet gerade genug Licht, um die Umgebung schemenhaft wahrzunehmen. Es könnte so angenehm sein, so vertraut, würde ich nicht auf ein Schlachtfeld blicken.
Schwere Regentropfen bedecken den staubigen Boden, verwischen alle Spuren und lassen den Geruch nach Tod nach und nach verblassen.
Wenn ich die Augen schließe und meinem Kopf das Denken verbiete, könnte ich mir vielleicht einreden, dass es nicht wahr ist, mir einbilden, dass die Wiese unter mir voll mit Blumen ist, statt Leichen.
Vielleicht könnte ich diese Nacht sogar komplett vergessen.
All das kann ich nicht, denn das Monster, welches diesen Kampf ausgelöst hat, lebt in mir. Es hatte sich in mir ausgebreitet und mich komplett ausgebrannt, bis ich nichts mehr war, als eine leere Hülle voller Hass und Angst.
Zitternd lasse ich meinen Blick über den Schauplatz schweifen. So viele Menschen haben in dieser Nacht ihr Leben verloren, so unglaublich viele. Im Kampfrausch hatte ich alle ermordet, jedes Leben ausgelöscht, dass sich mir in den Weg gestellt hatte.
Ich trete einige Schritte zurück, gerade so weit, dass die Hecken mir den Blick auf das Schlachtfeld verwehren. Mit der Hose bleibe ich an den Stacheln der Büsche hängen, ich zerre an dem Stoff, bis mein Blick schließlich an etwas hängen bleibt.
Langsam ziehe ich das Schwert aus der Scheide. Die Wolken lassen ein kleines bisschen Licht des Mondes hindurch, es nicht viel, aber es reicht, um die Waffe silbrig glänzen zu lassen.
An der Klinge klebt dunkles Blut, es ist nicht das meine.
Gedanken schießen durch meinen Kopf, Erinnerungen der neusten Ereignisse. Sie jagen mich, wollen mich foltern, um mich leiden zu sehen. So ist es immer.
Auf einmal wird alles zu viel. Der Anblick des Gemetzels, die Schreie, die mir immer noch in den Ohren klingen und dieses verdammte Gefühl des Versagens. Ich muss weg hier.
Ohne einen weiteren Gedanken renne ich ins Unterholz. Das Monster folgt mir wie ein Schatten. Es heftet sich an mich und holt immer weiter auf, verdunkelt meine Gedanken. Je schneller ich renne, desto größer wird der Abstand zwischen uns, schließlich verschwindet es.
Außer Atem lasse ich mich auf den Boden sinken, mit dem Rücken an der Rinde sitzend warte ich, dass sich mein Herzschlag beruhigt.
Gerade schläft das Monster, ruht sich aus von seinen Taten. Aber die Dunkelheit ist immer da, immer präsent und mit jedem Atemzug scheint sie näher zu kommen. Sie lauert im Schatten, wartet geduldig. Ich kann sie nicht aufhalten. Das hatte ich in den letzten Monaten oft genug versucht und war oft genug gescheitert.
Für einen kurzen Moment hänge ich in Erinnerungen,
ich, wie ich mit 13 Jahren aufgehört hatte, unter meinem Bett nach Monstern zu sehen, weil ich begriffen hatte, dass ich selbst das Ungeheur war und immer noch bin,
ich, wie ich das erste Mal jemanden getötet habe und mich danach wochenlang weigerte, mein Zimmer zu verlassen, aus Angst, wieder die Kontrolle zu verlieren.
Emotionen durchzucken mich, ich kann nicht mehr stillhalten und springe auf. Erst langsam, dann immer schneller bahne ich mir einen Weg durch das Gestrüpp, schlage mit den Händen die Dornenranken beiseite, Blut läuft an meinen Armen herunter und tropft schließlich auf den Boden.
Schließlich stehe ich an einer Kante. Unter mir geht es etliche Meter hinunter, von hier aus kann ich die gesamte Gegend überblicken. In den letzten Minuten hat es stärker zu regnen begonnen, es dauert nicht lange, bis Blitze über den Himmel zucken.
Ich stehe mit den Stiefeln am Abgrund, einen Schritt vom sicheren Tod entfernt, ein Schritt und es wäre vorbei, ich wäre vorbei, und mit mir die Schwere.
Alles in mir schreit, ich solle springen und diesem Leben ein Ende setzen, ich solle gehen, sodass nicht noch mehr Menschen wegen mir umkommen müssen.
Wolkenberge türmen sich am Horizont auf, lediglich sichtbar durch das Licht der Blitze, wenn sie den Himmel zerschneiden. Der Strum zerrt an meinen Haaren, will mich hinunterziehen, wie eine freundliche Einladung, ihm zu folgen.
Die Tränen vermischen sich mit Regentropfen, laufen mir übers Gesicht. Ich bin ein Schlachtfeld, voller Narben von verlorenen Kämpfen. Schlachten, die ich teilweise im Krieg, aber meistens ganz alleine ausgetragen habe, Schlachten, die ich nie gewinnen kann, da ich selbst der Feind bin.
Abwesend taste ich an meiner Seite nach dem Schwert, es ist nicht da. Vermutlich habe ich es am Ort des Gemetzels vergessen. Vermutlich ist es besser so.
Wieder schaue ich in die Tiefe, es ist zu dunkel, um etwas zu erkennen. Niemand würde mich aufhalten, das ist mir schmerzlich bewusst.
Schwarze Wellen umspülen mein Herz, ich kann nicht mehr. Wie soll ich einen Teil von mir töten, wenn ich noch geschwächt von vorherigen Konflikten bin?
Ich atme tief ein, ziehe zum letzen Mal die kühle Regenluft ein. Es ist in Ordnung, sage ich mir, der Lüge komplett bewusst.
Ein Schritt. Einen kleinen Schritt muss ich nach vorne machen. Ich schließe die Augen, bereite mich auf den Aufprall vor und - werde ich von der Kante weggerissen, lasse mich nach hinten auf die Wiese fallen und versuche hektisch Abstand zu erlangen, von was weiß ich nicht. Abstand vom Abgrund, vom Tod?
Ich schreie, bis mir die Kehle brennt, brülle gegen den Donner an. Mit jedem Blitz und jedem Grollen, das die Erde erschüttet, wird mein Herz etwas leichter, mit jeder Windböe, die mich fast von den Beinen reißt, beruhigen sich meine Gedanken.
Es kommt mir wie eine Ewigkeit vor, wie ich da stehe, unfähig mich zu rühren.
Das Unwetter ist verschwunden, es wird heller und mit dem Licht werde ich ruhiger. Als die ersten Sonnenstrahlen zu sehen sind und die Welt in goldene Farbe tauchen, sitze ich im langen Gras, Halme streichen sanft über meine Haut. Das Blut wurde vom Regen abgewaschen, zurück bleibe nur ich. Es ist ruhig in mir, die Wogen haben sich geglättet und alles ist friedlich.
Die letzten Stunden voller Hass und Angst und Dämonen, die meine Gedanken vermischt hatten, scheinen unrealistisch. Als wäre es nur ein Traum, ein schrecklicher Albtraum samt schreiendem Aufwachen zwar, aber trotzdem nur ein Traum.
Realität und Fantasie beginnen sich zu mischen, ich stelle mir vor, nicht hier zu sein, nicht ich zu sein. Ganz langsam und unauffällig vermischt sich alles und wie so oft schiebe ich die Vorfälle in die hinterste Schublade in meinem Kopf. Ich will vergessen, verdrängen, was passiert ist. Es kann nicht echt sein, niemals wäre ich auch nur in der Lage, so etwas zu tun.
Meine Augen werden schwer, nach einiger Zeit falle ich in einen unruhigen Schlaf.
Wo bin ich?, frage ich mich. Ich liege auf einer Wiese, nicht weit von den Klippen entfernt, klitschnass und ohne mein Schwert. Getrunken habe ich wohl nichts, denn die Kopfschmerzen bleiben aus.
Kopfschüttelnd erhebe ich mich und suche mir meinen Weg durch das Unterholz.
Zurück bleibt lediglich eine menschengroße Kuhle im Gras und eine Erinnerung, die nun keine mehr ist.
Frida
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