Weihnachtsgottesdienst

 

Es ist kalt. Ein Wind weht. Irgendwo surrt eine Drohne

 

Die gesamte Schule hat sich auf einer Wiese versammelt, mit Jacken, Handschuhen und was sonst noch. Zwei Kreise wurden gebildet. Die Kleinen innen, die Großen außen. Jeder hält eine kalte Kerze zwischen den Fingern. Neben mir hat ein Schüler ein Buch unterm Arm geklemmt. Keine Bibel.

 

Frau Heintz beginnt den Gottesdienst und erzählt vom Friedensfeuer aus Bethlehem, das mit dem Flugzeug nach Wien, von dort nach Hassloch und schließlich zu ihr gekommen ist. Daraufhin soll den Schüler:innen ebenfalls das Feuer übergeben werden. Im vollsten Vertrauen, dass wir es in der Schule nicht fallen lassen und aus Versehen etwas anzünden.

 

Die Lehrer:innen eilen vor und entzünden ihre langen Kerzen. Ab diesem Punkt wird es kritisch. Irgendjemand hat Wind bestellt. Oder vergessen, ihn abzubestellen. Kaum sind die Kerzen der Schüler:innen am Brennen, erlöscht ihr Licht bereits. Entrüstete Schreie. Lacher. Scherze, die Flamme spiegle die mentale Gesundheit.

 

Also werden die Kerzen erneut ins Feuer gehalten. Manche bleiben tatsächlich am Leben. Neben uns sagt jemand: „Man muss die Kerze wie ein Kind behandeln. Wie ein Baby.“ Was natürlich Lacher in seiner Umgebung heraufbeschwört.

 

Derweil geht der Gottesdienst weiter. Wir hören nur mit halbem Ohr zu. Immerhin müssen wir das Friedensfeuer am Leben erhalten. Der Schüler zu meiner Linken liest Harry Potter. Seine Kerze steht zu seinen Füßen. Eigentlich keine schlechte Idee, ein Buch mitzubringen.

 

Nun wird gesungen. Soll gesungen werden. Die Musik spielt. Ein Schüler aus der inneren Reihe singt aus vollem Halse mit. Das ist doch schon mal etwas.

 

Die Kerzen neben uns wurden offensichtlich nicht wie Babys behandelt, sie sind nämlich erloschen. Wir geben ihnen wieder Feuer. Und wahren dabei keinen Coronaabstand. Egal. Zumindest brennt das Friedenslicht wieder.

 

Schließlich werden wir wieder nach unten geschickt. In die warmen Klassenräume. Endlich. Der Schüler zu meiner Linken klappt Harry Potter zu.

 

Natürlich versuchen alle, ihr Licht auf dem Weg nach unten zu schützen. Natürlich geht die Hälfte der Lichter aus. Herr Groß läuft mit einer brennenden Kerze an einer Achtklässlerin mit erloschener Kerze vorbei. Kurzerhand tauscht er die beiden aus.

 

Dieser Gottesdienst erscheint mir wie ein Reinfall. Niemand hat richtig zugehört. Kaum einer hat mitgesungen. Der wunderschönen Musik hat ebenfalls niemand gelauscht. Die Kerzen erlöschen dauert. Aber irgendwie… Ich stehe in der Kälte und kämpfte mit vollkommen fremden Schüler:innen dafür, dass ihre Kerze erneut brennt. Ihr Friedenslicht.

 

Hannah, 07.01.2022