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Flucht vor mir selbst

                                                                                            Lesezeit: 4 Minuten;

 

Triggerwarnung: Versuchter Suizid

Vor einigen Minuten noch war alles in Ordnung. Ich weiß nicht genau, was passiert war, weiß nicht, was ich tun soll. Ein kleiner Auslöser reichte oftmals aus, um meine Gedanken in einen Strudel zu verwandeln, aus welchem ein Ausbrechen unmöglich erscheint.

Mit dem Rücken an der Wand sitze ich da, niemand sonst ist im Raum, denn niemand hat mich flüchten sehen.

Alles ist zu viel, das Licht zu hell, das Atmen zu schwer. ,,Die Angst ist nicht real!" flüstere ich immer wieder, doch die Zeiten, in denen mich ein Mantra an die Oberfläche bringen konnte, sind längst vorbei. 

In meinem Kopf herrscht ein riesiges Chaos, Angst vor Menschen, Angst vor bösen Menschen, und am allermeisten Angst vor mir selbst.

Ich versuche, meine Gedanken zu greifen, mich mit irgendetwas abzulenken, aber es scheint unmöglich.

Fingernägel bohren sich in meinen linken Arm, es sind meine, bis Blut herunterläuft. An guten Tagen reicht es aus, mich auf den Schmerz zu konzentrieren, um meine Gedanken zu ordnen. Heute ist kein solcher Tag.

Wieder ergreift mich die Angst vor dem, was ich getan habe, vor dem, was ich wieder tun könnte, und die Erkenntnis, dass ich es nie wieder erleben will. Ich möchte sie vergessen, diese Erinnerungen, die von Blaulicht und Sirenen geprägt sind.

Aber ich bin zu schwach. Meine Finger schließen sich um den Schal, der mir um den Hals hängt, ich ringe mit mir.

,,Tu es nicht!" schreien alle Alarmglocken in meinem Kopf. Zu dumm, dass mich gerade etwas anderes steuert.

Ich ziehe so fest an dem Stoff, dass ich keine Luft mehr bekomme, versuche, die Dunkelheit in mich eindringen zu lassen und die Gedanken auszurotten. Ich ziehe und ziehe, mein Mund schnappt nach Luft, doch ich merke es kaum, bis mir eine Hand den Schal aus den Fingern reißt und diesen vorsichtig entfernt.

Wahrnehmen kann ich die Person nicht. Meine Gedanken sind wie eingefroren, nur meinen Atem spüre ich. Nach einigen Minuten klart der Nebel langsam auf und meine Augen, die zuvor stumpf an einen Fleck Wand fixiert waren, suchen jetzt nach dem Gesicht der Gestalt. 

Braune Haare fallen ihr ins Gesicht, während sie mich mit besorgtem Blick mustert.

Langsam nähert sich ihre Hand und legt sich auf meine Schulter. Ich zucke reflexartig zurück, doch sie zieht ihre Finger blitzschnell weg.

Wieder sucht sie nach Augenkontakt, diesmal halte ich ihrem Blick stand und schaue in große, dunkle Augen.

,,Alles wird gut!" flüstert sie so leise, als hätte sie Angst, ich würde jeden Moment davonrennen. Völlig absurd ist die Annahme sicher nicht. Wieder wispert sie: ,,Alles wird gut. Ich verspreche es."

Ich möchte ihr so gerne glauben, möchte ihr vertrauen, aber ich traue mich nicht. Vertrauen macht verletzlich, Vertrauen tötet. Das habe ich oft genug erlebt, oft genug gespürt. 

Aber da ist dieses Gefühl. Ein Drang nach etwas Gutem. Ich kann nicht widerstehen. Gerade als ich den Schritt wagen und den Mund öffnen möchte, kippt meine Sicht. Nur noch einen kleinen Blick erhasche ich auf die Schülerin. ,,Sie sieht besorgt aus“, denke ich.

Dann verliere ich das Bewusstsein.

 

                                                                                                                                                      Frida

 

 

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