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Der erste richtige Geburtstag?

Er saß wieder auf dem Apfelbaum, der seine knorrigen Äste über das Feld streckte. Ein Lächeln huschte über seine Lippen, als er mich kommen sah. Das Lächeln ließ mein Herz höher schlagen und brachte auch mich zum Lächeln. Als ich am Fuß des alten Baumes angekommen war, sprang er von seinem Ast herunter und begrüßte mich mit einer warmen und herzlichen Umarmung. Obwohl wir uns erst gestern das letzte Mal gesehen hatten, fühlte sich diese Umarmung an wie eine Umarmung zweier sich liebender Menschen, die sich jahrelang nicht mehr gesehen hatten. Dabei trafen wir uns beinahe jeden Tag außerhalb unseres Dienstes am Königshof. Es war Freundschaft auf den ersten Blick gewesen. Damals, als er in die Küche kam und mich fragte in welche Richtung er zum Thronsaal kommen würde. Wahrscheinlich hatte er sich vor fünf Monaten noch nicht so gut ausgekannt, denn keiner würde einen Küchenjungen wie mich nach dem Weg fragen. Doch seit diesem Vorgang trafen wir uns öfter, wurden Freunde und schließlich wurde diese Beziehung zwischen uns mehr als nur Freundschaft. In diesen Gedanken versunken schlenderten wir Hand in Hand übers Feld zum Walde hin.

Wir wussten beide, dass, wenn man uns sehen würde, wir wahrscheinlich getötet werden würden, doch heute war uns das egal. Denn ich hatte Geburtstag und konnte ihn zum ersten Mal in meinem Leben mit einem Menschen genießen, der mir etwas wert war. Überhaupt war es mein erster Geburtstag, den ich mit einem Menschen feierte. Er hatte mir gestern eröffnet, dass er für heute eine Überraschung geplant hätte.

Ich wollte ihn gerade neckisch fragen, wohin wir unterwegs waren, doch da küsste er mich und die Gefühle in mir explodierten. Tausend Farben, neue abstrakte Welten und berührende Gedanken taten sich in mir auf, nur durch diese zarte liebevolle Berührung der Lippen, die sich auf meine pressten. Während er mich küsste, zog er ein kleines Stück Stoff aus seiner Umhängetasche und flüsterte mir ins Ohr: ,,Damit es wirklich eine Überraschung wird!". Er nahm meine Hand und führte mich in den Wald. Kälte legte sich über meine Haut. Doch durch seine Hand floss Wärme und Fürsorglichkeit, die die Kälte geradewegs von mir abprallen ließ. So liefen wir eine Weile durch den dunklen Wald, bis ich merkte, dass warme Sonnenstrahlen über meine Haut strichen und mir so symbolisierten, dass wir den Wald verlassen hatten. Kurz darauf nahm er mir die Augenbinde ab. Wir standen auf einer Klippe. Hand in Hand. Unter uns erstreckte sich ein türkisblauer See, der von steilen, scharfkantigen Klippen eingefasst war. Staunend trat ich an den Rand des Vorsprungs und starrte in die Tiefen. Hände legten sich um meine Hüfte, ich drehte mich um, umarmte ihn und wir sprangen gemeinsam ins Wasser. Bis zum Abend schwammen wir im See, tauchten uns gegenseitig ins blaue Wasser und sprangen immer wieder von der Klippe. Als die Sonne ihre letztes Licht auf uns fallen ließ, legten wir uns nebeneinander an den Strand und starrten in den Himmel, an dem sich langsam um den Mond Sterne zeigten.

 

Lasse

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Kommentare: 2
  • #1

    ... (Sonntag, 26 Juni 2022 20:52)

    Wooow��

  • #2

    Lassefan nr1 (Montag, 14 November 2022 19:10)

    Sehr inspirierend weiter so in ein paar Jahren bist du bestimmt einer von den ganz großen